Rechtsbestimmungen für das Gebet des Nachzüglers und eine Anmerkung zu Durr al-Mukhtar


Beantwortet von Shaykh Faraz Rabbani.

Frage

Wie soll sich ein Nachzügler verhalten, der das Gemeinschaftsgebet später erreicht, wenn er den Rest seines Gebets vollendet?

Antwort

Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen.

Im Durr al-Mukhtar, einem Kommentar zu Tanwir al-Absar, beginnt Imam ʿAla ad-Din al-Haskafi, die Rechtsbestimmungen bezüglich dessen zu erklären, der das Gemeinschaftsgebet als Nachzügler erreicht, und gibt dann folgendes Beispiel:

»Was die Rezitation betrifft, so holt der Nachzügler […] den Anfang seines Gebets nach; und was die Bewegungen und das Sitzen (Tashahhud) betrifft, den Schluss.

Deshalb muss – außer beim Fajr-Gebet – derjenige, der nur die letzte Gebetseinheit (Rakaʿa) gemeinsam mit dem Imam verrichtet hat, in den beiden Gebetseinheiten, die er nachholt, sowohl die Sure Fatiha als auch eine weitere Sure [Faraz Rabbani: beziehungsweise mindestens 3 kurze Verse] rezitieren. Zwischen diesen beiden Gebetseinheiten bleibt er zum Tashahhud sitzen. Abschließend fügt er in einem Gebet mit 4 Gebetseinheiten eine vierte Gebetseinheit hinzu, in der er lediglich die Fatiha rezitiert und vor der er nicht zum Tashahhud sitzt.« (al-Haskafi: Durr al-Mukhtar Sharh Tanwir al-Absar)

Dies mag etwas gedrängt formuliert und schwer zu verstehen sein, doch wenn das Prinzip und das nachfolgende Beispiel verstanden sind, sollte Klarheit herrschen:

Szenario 1: Wenn man eine Gebetseinheit eines 4-Rakaʿat-Gebets mit dem Imam gebetet hat und danach aufsteht

  • Hinsichtlich der Rezitation befindest du dich in deiner ersten Rakaʿa, weshalb du die Fatiha und eine weitere Sure rezitierst. Was das gesamte Gebet und die Bewegungen betrifft, befindest du dich in der zweiten Rakaʿa, weshalb du am Ende dieser Gebetseinheit zum Tashahhud sitzen bleibst.
  • Die darauffolgende Gebetseinheit ist hinsichtlich der Rezitation deine zweite, weshalb du wieder sowohl die Fatiha als auch eine weitere Sure rezitierst. Insgesamt ist dies aber deine dritte Gebetseinheit. Deshalb bleibst du am Ende dieser Einheit nur dann zum Tashahhud sitzen, wenn es sich um das Maghrib-Gebet (mit drei Gebetseinheiten) handelt, ansonsten stehst du am Ende dieser Einheit auf, um die vierte Einheit zu verrichten.
  • Damit bist du hinsichtlich deiner Rezitation in der dritten Rakaʿa, weshalb du nur noch die Fatiha rezitierst; insgesamt ist es aber deine vierte Gebetseinheit, und somit bleibst du am Ende dieser Einheit zum Tashahhud sitzen.

Szenario 2: Wenn man drei Gebetseinheiten eines 4-Rakaʿat-Gebets mit dem Imam gebetet hat und danach aufsteht

  • Hinsichtlich der Rezitation befindest du dich in deiner ersten Gebetseinheit (siehe Imam Haskafis Erläuterung oben), also rezitierst du sowohl die Fatiha als auch eine weitere Sure. Es ist hinsichtlich der Bewegungen die letzte Gebetseinheit, die du verrichtest, weshalb du am Ende der Einheit zum Tashahhud sitzen bleibst, die Segenswünsche für den Propheten Muhammad (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) rezitierst und weitere Bittgebete liest. (Hinweis: Am Ende des Gebets vor dem abschließenden Friedensgruß ein Bittgebet zu rezitieren, ist gemäß der hanafitischen Rechtsschule eine starke Sunna, also eine Sunna muʾakkada.)

Eine Anmerkung zum Durr al-Mukhtar

Das Durr al-Mukhtar (»Die Auserwählte Perle«) ist einer der zentralen späteren Texte der hanafitischen Schule. Sein Verfasser, ʿAla ad-Din al-Haskafi (möge Gott sich seiner erbarmen) war im 11. Jahrhundert islamischer Zeitrechnung der Großmufti von Damaskus. Seine Werke, insbesondere das Durr al-Mukhtar, haben alle Texte, die danach folgten, enorm beeinflusst und wurden zu zentralen Nachschlagewerken für rechtliche Detailfragen und Urteile. Grund dafür waren unter anderem:

  1. Der Text, den das Durr al-Mukhtar kommentiert, Tanwir al-Absar von at-Tumurtashi, welches zu Beginn des 11. Jahrhunderts islamischer Zeitrechnung verfasst wurde, ist der detaillierteste und präziseste Text (matn) der hanafitischen Rechtslehre, wie Imam ʿAbd al-Hayy al-Lakhnawi in al-Fawaʾid al-Bahiyya erwähnt.
  2. Al-Haskafi hat die wichtigsten Bedingungen, Einzelheiten, Ausnahmen, abweichenden Meinungen und Diskussionen, die von den großen hanafitischen Gelehrten vor ihm (wie al-Babatri, Kamal Ibn al-Humam, Mulla Khusraw, Ibn Nujaym und vielen weiteren) erwähnt wurden, ausgewählt und zusammengefasst.
  3. All dies tat er mit außerordentlicher Präzision und Klarheit, was sich als große Hilfe für diejenigen erweist, die Fatwas geben oder Urteile fällen. (Teilweise sind seine Erläuterungen allerdings so knapp gefasst, dass sie selbst für Gelehrte verwirrend sein können, was einer von vielen Gründen ist, wieso es zu diesem Werk so viele Superkommentare gibt.)

Zum Durr al-Mukhtar wurden viele Superkommentare verfasst. Die bekanntesten davon sind die Hashiya von at-Tahtawi und die Hashiya von Ibn ʿAbidin (mit dem Titel Radd al-Muhtar). Letzteres ist das primäre Nachschlagewerk für Rechtsurteile in der hanafitischen Rechtsschule überall, wo die Schule praktiziert wird. (Hinweis: Die indo-pakistanischen Gelehrten bezeichnen Ibn ʿAbidin oft als »ash-Shami« und seine Hashiya als »ash-Shamiyya« oder »Fatawa Shami«.)

Ibn ʿAbidin hatte große Hochachtung vor den Werken ʿAla ad-Din al-Haskafis und hat mindestens vier Kommentare zu dessen Werken verfasst und sogar seinen Sohn, ʿAla ad-Din ʿAbidin, nach ihm benannt. ʿAla ad-Din ʿAbidin hat die Hashiya seines Vaters vervollständigt und eine ausgezeichnete Anleitung für die gottesdienstlichen Taten, die Glaubenslehre und das Verbotene und Erlaubte verfasst: al-Hadiyya al-ʿAlaʾiyya, was derzeit (als »Gifts of Guidance«) ins Englische übersetzt und annotiert wird.

Ibn ʿAbidin verfasste sein gewaltiges Radd-al-Muhtar, die zentrale Referenz für Fatwa-Positionen in der hanafitischen Rechtsschule allerorts, in Form von ausführlichen Marginalglossen (hashiya) zu Durr al-Mukhtar. Er sagte:

»Ad-Durr al-Mukhtar, der Kommentar zu Tanwir al-Absar, floss durch alle Lande, durchwanderte die Städte und wurde offenkundiger als die Mittagssonne, bis die Leute sich unermüdlich mit ihm beschäftigten und es zu ihrem Rückhalt machten. Dieses Werk hat es in äußerstem Maße verdient, angestrebt und von der Rechtsschule befolgt zu werden, denn es enthält mehr wohl geprüfte Urteile und gesicherte Detailfragen als viele längere Werke.« (Ibn ʿAbidin: Radd al-Muhtar, Band 1, Seite 2)

 

Und Allah allein gibt Erfolg.

Wa ʿalaykum as-Salam

Faraz Rabbani