Beantwortet von Mufti Muhammad Ibn Adam.
Frage
Muss ich den Adhan und Iqama lesen, wenn ich alleine zu Hause ein Pflichtgebet verrichte?
Antwort
Sayyiduna Uqba Ibn Amir (möge Gott mit ihm zufrieden sein) überliefert:
»Ich hörte den Gesandten Allahs (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) sagen: ›Euer Herr, der Erhabene, ist zufrieden mit einem Ziegenhirten, der auf dem Gipfel eines Berges den Gebetsruf macht (den Adhan liest) und das Gebet verrichtet. Allah, der Erhabene sagt: „Seht euch diesen Meinen Diener an, er ruft mit dem Adhan und der Iqama zum Gebet aus Furcht vor Mir. Ich habe Meinem Diener vergeben und ihn ins Paradies eintreten lassen.“‹« (Sunan Abi Dawud, Nr. 1196; Sunan Nasaʾi, Nr. 665 und Musnad Ahmad, Bd. 4, S. 157)
Sayyiduna Malik Ibn al-Huwayrith (möge Gott mit ihm zufrieden sein) sagt, dass zwei Männer zum Gesandten Allahs (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) kamen, die vorhatten, auf Reisen zu gehen. Der Gesandte Allahs (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) sagte:
»Wenn ihr aufbrecht, lest den Adhan und die Iqama, und der Älteste von euch soll der Vorbeter sein. (Sahih al-Bukhari, Nr. 604)
Sayyiduna Salman al-Farisi (möge Gott mit ihm zufrieden sein) überliefert, dass der Gesandte Allahs (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) sagte:
»Wenn ein Mann in einem verlassenen Land zugegen ist und die Zeit für das Gebet eintritt, woraufhin er Gebetswaschung (Wudhu) durchführt – und wenn er kein Wasser findet, so führt er die Sandwaschung (Tayammum) durch –, und wenn er die Iqama liest [und das Gebet verrichtet], so verrichten seine beiden Engel das Gebet gemeinsam mit ihm. Und wenn er sowohl den Adhan als auch die Iqama liest, so betet eine ganze Heerschar Gottes hinter ihm, deren Ende in beiden Richtungen [aufgrund ihrer Anzahl] nicht zu sehen ist. (Musannaf Abd al-Razzaq, Nr. 1955 und al-Muʿjam al-Kabir von Tabarani, Bd. 6, S. 249)
Tawus (möge Gott mit ihm zufrieden sein), ein Mann der Tabiʿun, sagt:
»Wenn ein Mann [der alleine ist] sein Gebet verrichtet und zuvor die Iqama gelesen hat, so beten seine beiden Engel mit ihm. Und wenn er zuvor sowohl den Adhan als auch die Iqama liest, so betet eine Vielzahl an Engeln mit ihm. (Musannaf Abd al-Razzaq, Nr. 1952; ähnliche Aussagen wurden im selben Kapitel des Musannaf von Abdullah Ibn Umar, Mak-hul und Said Ibn al-Masayyab, möge Gott mit ihnen allen zufrieden sein).
In Nur al-Idah, dem berühmten Grundlagenwerk über die hanafitische Rechtslehre, heißt es:
»Es ist eine starke Sunna (sunna muʾakkada) für Männer, sowohl den Adhan als auch die Iqama vor Pflichtgebeten (Faraʾid) zu lesen, selbst wenn man alleine betet, egal ob für ein aktuelles oder ein nachzuholendes Gebet, egal ob auf Reisen oder zuhause. Für Frauen ist es [verbotsnah] verpönt, den Adhan oder die Iqama zu lesen.« (Siehe: Shurunbulali: Maraqi al-Falah Sharh Nur al-Idah, S. 194-195)
In einem anderen hanafitischen Grundlagenwerk, Kanz al-Daqaʾiq, heißt es:
»Es ist [verbotsnah] verpönt für einen Reisenden, sowohl den Adhan als auch die Iqama auszulassen; nicht aber für jemanden, der zuhause innerhalb einer Stadt betet [wo der Adhan und die Iqama in einer lokalen Moschee gelesen werden] […]« (Kashf al-Haqaʾiq Sharh Kanz al-Daqaʾiq, Bd. 1, S. 39).
Basierend auf den oben erwähnten Hadithen und Texten sowie weiteren ähnlichen Texten, die in klassischen hanafitischen Werken zu finden sind, sind folgende Szenarien denkbar:
1. Für einen Nichtreisenden, der entweder zuhause oder anderswo alleine betet und nicht in der Reichweite einer Moschee ist, in welcher der Adhan und die Iqama gelesen werden, ist es eine starke Sunna ist, beide Gebetsrufe zu lesen. Demnach ist es verbotsnah verpönt (makruh tahriman), sowohl Adhan als auch Iqama zu unterlassen. Den Adhan auszulassen, während man die Iqama dennoch liest, ist hingegen nicht verpönt. Den Adhan wiederum zu lesen, während die Iqama ausgelassen wird, ist verpönt.
Der Grund dafür ist, wie von Imam Ibn Abidin im Lichte des oben zitierten Hadiths erklärt wird, dass der Zweck des Adhans sich nicht darauf beschränkt, andere zum Gebet zu rufen, sondern auch, den Namen Gottes und Seine Religion auf Erden zu verlautbaren und die Diener Gottes, seien sie Menschen oder Dschinn, daran zu erinnern.
2. Für einen Nichtreisenden, der entweder zuhause oder anderswo alleine betet und in der Reichweite einer Moschee ist, in welcher der Adhan und die Iqama gelesen werden, ist es empfohlen (keine starke Sunna), sowohl den Adhan und als auch die Iqama zu lesen. Dementsprechend ist es nicht verpönt, beides zu unterlassen. Von Sayyiduna Abdullah Ibn Masʿud (möge Gott mit ihm zufrieden sein) hat einer Überlieferung zufolge Folgendes gesagt: »Der Adhan aus der Umgebung genügt uns (adhan al-hay yakfina).« Man sollte sich jedoch darum bemühen, zumindest die Iqama zu lesen.
3. Für einen Reisenden ist es eine starke Sunna, sowohl den Adhan als auch die Iqama zu lesen. Entsprechend ist es verbotsnah verpönt, beides zu unterlassen. Nur den Adhan, aber nicht die Iqama auszulassen, ist hingegen nicht verpönt. Umgekehrt wäre es jedoch verpönt, die Iqama auszulassen und nur den Adhan zu lesen.
Abschließend sollten zwei Punkte beachtet werden:
Erstens: Adhan und Iqama sind nur für Männer eine Sunna, nicht für Frauen. Vielmehr ist es für Frauen verpönt, den Adhan und die Iqama zu lesen, wie von Ibn Umar, Anas und anderen (möge Gott mit ihnen zufrieden sein) berichtet wurde. Der Grund dafür ist, dass der Adhan und die Iqama zu den Sunna-Bestandteilen des Gebets in Gemeinschaft sind, und für Männer gilt der Standard, dass das Gebet in der Gemeinschaft verrichtet wird. Folglich verrichten Männer ihr Gebet, wenn sie alleine beten, wie das Gemeinschaftsgebet. Für Frauen hingegen gilt ist der Standard, dass das Gebet alleine verrichtet wird, und dementsprechend stellen Adhan und Iqama für sie keine Sunna-Handlungen dar.
Zweitens: Auch wenn es für einen Mann verbotsnah verpönt (makruh tahriman) ist, den Adhan und die Iqama zu unterlassen, so ist sein Gebet, wenn er es, ohne vorangehenden Gebetsruf verrichtet, immer noch gültig, und er muss es nicht wiederholen. (Die obigen Darstellungen sind zusammengestellt aus Radd al-Muhtar ʿala ’l-Durr al-Mukhtar, Bd. 1, S. 394-395; Al-Fatawa al-Hindiyya, Bd. 1, S. 54; Maraqi al-Falah Sharh Nur al-Idah mit der dem Kommentar (Hashiya) von Tahtawi, S. 194-195; Imdad al-Fattah Sharh Nur al-Idah, S. 192-193; Kashf al-Haqaʾiq Sharh Kanz al-Daqaʾiq, Bd. 1, S. 39 und Umdat al-Fiqh, Bd. 1, S. 38)
Und Allah weiß es am besten.
Muhammad Ibn Adam
Darul Iftaa
Leicester, Vereinigtes Königreich